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23.05.2018

. / Aktuelles / Attische Demokratie
Stand: 25.03.2013

Attische Demokratie

Insgesamt lässt sich zu der Thematik sehr viel anmerken, aber in der gegebenen Kürze unserer Klausur-Termine werden wir uns mit Grundsätzlichem begnügen müssen.

1. Der vollständige Artikel aus „Geschichte und Geschehen”, Bd. 11 (natürlich noch in alter Rechtschreibung)
2. Eine komprimierte Fassung der Merkmale der attischen Demokratie mit meiner Akzentsetzung.

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1. Der vollständige Artikel aus „Geschichte und Geschehen”,
        Bd. 11


Die demokratische Polis seit der Zeit des Perikles



Idee und Wirklichkeit der Polisgemeinschaft

Die Idee der demokratischen Polisgemeinschaft (s. S. 26) ging davon aus, daß alle Bürger Athens gleiche Rechte haben und aktiv am Staatsleben teilnehmen sollten. Wie sah seit der Zeit des Perikles der politische Alltag aus? Auf den ersten Blick fällt die enorme politische Betriebsamkeit der athenischen Bürger auf; fast jeden Tag strömten sie zu irgendwelchen öffentlichen Sitzungen. Dies war Ausdruck ihres Verständnisses von Demokratie und zugleich Konsequenz der staatlichen Organisation: Athen war eine direkte Demokratie, in der alle wesentlichen Entscheidungen nicht von Repräsentativorganen, sondern plebiszitär, d. h. unmittelbar von der Bürgerschaft, getroffen wurden. Wichtigstes Organ war demgemäß die Volksversammlung, zu der jeder erwachsene Vollbürger Zutritt hatte. Die Volksversammlung war beschlußfähig, wenn sie eine Anzahl von 6000 Bürgern hatte. Zur Tagesordnung, die vom Rat der 500 vorbereitet wurde, konnte jeder Bürger als Redner das Wort ergreifen. Das Forum der Volksversammlung nutzten führende Politiker wie Perikles, um ihren Vorstellungen Gehör zu verschaffen. Ab 403 v. Chr. wurde für den Besuch der Volksversammlung ein Tagegeld (Diäten) gezahlt, um jedem Bürger die Ausübung seiner demokratischen Pflicht zu ermöglichen. Zur Auffassung, daß die Polis die allgemeine Lebensgemeinschaft der Bürger sei, gehörte auch, daß die Bürgerschaft selbst Recht sprach. Berufsrichter gab es nicht, sondern 6000 durch ein kompliziertes Losverfahren ausgewählte Bürger über 30 Jahre, die in 10 verschiedenen Gerichtshöfen des Volksgerichts unter dem Vorsitz eines Beamten tagten. Die Laienrichter erhielten seit Perikles pro Gerichtstag ein Sitzungsgeld von 2, später 3 Obolen. Sie mußten vor Amtsantritt einen Eid leisten, daß ihr Urteil nur auf den allgemeinen Gesetzen (nomoi) und den Beschlüssen des Volkes beruhen werde. Die Stimmabgabe am Ende der öffentlich geführten Prozesse war geheim (Stimmsteine). Das Volksgericht entschied nicht nur bei privaten und öffentlichen Klagen, sondern auch über Anklagen gegen gesetzeswidrige oder staatsgefährdende Volksversammlungsbeschlüsse. Dadurch erscheint das Volksgericht als eine Art Kontrollinstanz über die Volksversammlung — allerdings nicht im modernen Sinne einer „dritten Gewalt", denn Gewaltenteilung war den Athenern fremd, sondern als Ausdruck der absoluten Souveränität des Volkes.

  
Partizipation am Staatsleben

Die Einführung von Tagegeldern für Richter, Ratsherren und Beamte (457 v. Chr.) erlaubte auch den ärmeren Bürgern, Amtsträger der Polis zu werden. Die Zahl der athenischen Beamten - angefangen bei den Oberbeamten (Archonten) bis zu kleineren Geschäftsträgern wie Marktpolizisten — war mit ca. 700 außerordentlich hoch. Hier zeigte sich erneut das basisdemokratische Grundprinzip der attischen Polis, möglichst viele Bürger am Staatsleben partizipieren zu lassen. Während vor dem 5. Jh. v. Chr. die Beamten gewählt wurden, setzte sich seit 457 v. Chr. das Losverfahren für fast alle Ämter durch. Alle Beamtenstellen waren mehrfach besetzt (Kollegialität) und durften für die Dauer eines Jahres (Annuität) in der Regel nur einmal von demselben Bürger bekleidet werden. Eine Ausnahme bildeten wichtige militärische Ämter wie das Strategenamt, das z. B. Perikles von 443 bis 429 v. Chr. ununterbrochen innehatte. Das konsequente Losverfahren und die Zersplitterung der staatlichen Funktionen, welche Machtmißbrauch durch einzelne verhindern sollten, wurden bereits im 5. Jh. v. Chr. kritisiert, schien doch darin die Gefahr zu liegen, daß inkompetente Bürger in wichtige Ämter gelangen konnten.
Wenn auch die attische Demokratie im 5. und 4. Jh. v. Chr. insgesamt den* Eindruck eines vorbildlichen basisdemokratischen Staatswesens macht, in dem die politische Gleichheit aller Bürger verwirklicht wurde, ist die Andersartigkeit des athenischen Systems im Vergleich zu heutigen Demokratien nicht zu übersehen. So machten die politisch berechtigten Bürger nur einen Bruchteil der attischen Bevölkerung aus. Frauen, Metöken und Sklaven waren von der Teilhabe am politischen Leben vollkommen ausgeschlossen. Manche Geschichtswissenschaftler haben deshalb die attische Demokratie als elitäre Herrschaft einer Minderheit von privilegierten Männern interpretiert: „Demokratie und Oligarchie unterscheiden sich nicht wesensmäßig voneinander, sondern nur zahlenmäßig" (E. Meyer). Allerdings sollte man sich bei einem solchen Urteil bewußt sein, daß man Wertmaßstäbe des 19. und 20. Jahrhunderts an die Verhältnisse in der Antike anlegt.  
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2. An dieser Stelle die komprimierte Fassung der Merkmale der attischen Demokratie mit meiner Akzentsetzung.

- Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungen war die Volksversammlung.
Sie ist gesetzgebendes (legislativ), gesetzvollziehendes (judikativ) und ausführendes (exekutiv) Organ. Anwesenheits- und Stimmrecht hatte jeder männliche attische Vollbürger. Das muss als absolute Besonderheit gewürdigt werden: Die Regel war zu allen Zeiten (bis ins 20. Jahrhundert) ein Zensuswahlrecht (also Wertigkeit der Stimme nach Vermögen)! Mehrheiten entschieden, allerdings nur bis zu einer neuen Volksversammlung, d. h. der attische „demos” war absolut souverän und nahm sich auch das Recht heraus, Entscheidungen einer vorigen Volksversammlung zu korrigieren. Da die Gesamtzahl der Anwesenden naturgemäß sich veränderte, kamen so auch gegensätzliche Mehrheiten zustande. Also: Das heutige hochgeschätzte Prinzip der Gewaltenteilung ist keineswegs demokratisch, sondern zutiefst anti-monarchisch. Dass Sklaven keine politische Berücksichtigung fanden, ist für die Antike selbstverständlich, da sie als Sachen gehandelt wurden; in der ursprünglichen amerikanischen Verfassung hatten Sklaven und Frauen übrigens auch kein Stimmrecht!!! Dass Frauen in Athen kein Stimmrecht hatten, ist auch nicht wirklich verwunderlich. da politisches Mitspracherecht kompromisslos an die tatsächliche Wehrfähigkeit gebunden war. Eben deshalb ist die Geburtsstunde der radikalen attischen Demokratie der Seesieg bei Salamis gewesen, da hier die Besitzlosen (im Zensus die 4. Schätzungsklasse, die Theten) erstmals als Ruderer auf den attischen Kriegsschiffen (Triären) unverzichtbar wurden. Übrigens: Das Wahlrecht für Frauen gibt es in Deutschland auch erst seit 1918/19! Dass die Fremden (Metöken) - heute würde man sie Gastarbeiter oder Ausländer nennen - kein Stimmrecht hatten, ist nun gar nicht ungewöhnlich, eben auch heute nicht (Es wird ihnen auch bewusst gewesen sein, dass sie sich in Kriegszeiten aus allem heraushalten konnten). Von daher ist Meyers These der quantitativen Oligarchie ziemlich fragwürdig, da wir selbst heute bundesweit wohl kaum auf ca. 40.000 Abgeordnete kommen. Es sei denn, er glaubt, dass das heutige pure Wahlrecht - alle 4 oder 5 Jahre ausgeübt - der Kern einer Demokratie sei.
Wo Licht ist, ist auch Schatten (Chiasmus). Die „Herrschaft des Volkes” kann auch ganz schnell zur „Herrschaft des Pöbels” werden (Ochlokratie)!

- Weiteres wesentliches Merkmal ist das Losverfahren. Und eben nicht die Wahl!
Fast alle Amtsträger wurden ausgelost, sei es, dass einige glaubten, die Götter würden die richtige Wahl treffen oder andere glaubten, auf diese Weise dem Ideal der Gleichheit (Isonomie) nahezukommen. Einige wenige Ausnahmen fanden sich dann doch ein: Die 10 Feldherren (Strategen) und der Schatzmeister der Athenae wurden tatsächlich gewählt! Nun, die militärischen Führer, weil man den Oberbefehl über Entscheidungen, die das eigene Leben maßgeblich betrafen, nicht irgendeinem Penner überlassen wollte, und den Finanzminister, weil man glaubte, dass reiche Leute mit Geld umgehen können und - was noch wichtiger war - man einem Reichen bei Unregelmäßigkeiten (das ist der heutige Euphemismus) auch tatsächlich in die Taschen greifen konnte. Heute leider nicht mehr möglich, da mit dem Begriff „Verantwortung” bestenfalls der politischer Abschied gemeint ist. Genau betrachtet ist wählen ja auch nicht „demokratisch”, da hier die Besten gefunden werden sollen, sondern von daher im eigentlichen Sinne eher aristokratisch.
Am Ende eines Amtsjahres musste politischer Rechenschaftsbericht geleistet werden, und wehe, wenn die „Volksstimmung” nicht gut war. Andererseits wurde man als Amtsträger zuvor durch Diäten entschädigt, aber noch vielmehr durch das Bewusstsein der eigenen Bedeutung. In keinem anderen Staat der Welt (vermutlich auch heute nicht) konnte man als einfacher Mann so viel werden.

- Und - fast noch besser - das Prinzip der Kollegialität: Alle Ämter wurden mehrfach besetzt. Die mangelnde Professionalität des Einzelnen sollte wohl damit kompensiert werden. Nun sind die Aufgabenbereiche wohl nicht so hochkomplex, wie wir es für unsere heutige Zeit annehmen, aber selbst wenn ein völlig Ungeeigneter gelost worden sein sollte, dann war da noch das Korrektiv der Kollegen und z. T. wohl auch die Staatssklaven, welche über viele Jahre bei gleicher Tätigkeit ihre eigene Professionalität aufgebaut haben werden (in heutiger Zeit ist es z. T. der Beamtenapparat in den Ministerien). Wichtig war daneben auch die systemische Vermeidung von Korruption, da die anderen Amtsträger ein ebensolche Einsicht in die politischen Geschäfte hatten. Als Letztes: Ein Einfallstor zur Alleinherrschaft waren diese Ämter sicherlich nicht.

- Das Prinzip der Annuität:
Der jährliche Wechsel aller Amtsträger spiegelt sich auch in heutigen „Demokratien” wider. Die Zeiträume sind deutlich länger, aber das Grundprinzip ist erkennbar: Herrschaft auf Zeit, um  die sich naturgemäß entwickelnden Herrschaftsstrukturen und „Seilschaften” zu vermeiden. In der überschaubaren Struktur einer griechischen „polis” ist ein Amtsjahr vermutlich genug gewesen, um sich zu orientieren. Heute wäre dies sicher zu wenig, aber der Grundgedanke ist unverzichtbar. Wenn man an heutige Landräte oder Bürgermeister denkt, scheinen temporäre Obergrenzen für Amtsträger sehr überlegenswert zu sein.

- Die Diäten:
Mit den Einnahmen des attisch-delischen Seebundes wurde es möglich, den Amtsträgern ein Entgelt zu zahlen; nur so war es letztlich möglich, auch besitzlose Schichten real am politischen Prozess zu beteiligen, kurzum sie zu Amtsträgern zu machen, was sich zuvor nur vermögende Adlige erlauben konnten. Auch unsere heutigen Abgeordneten erhalten Diäten, sodass sichergestellt ist, dass zumindest von daher im Prinzip jeder Abgeordneter werden könnte. Da es in Athen damals aber sehr viele Beamte gab - allein schon 6.000 Richter - war diese Form der Demokratie auch sehr teuer: Man könnte fast von einer Luxus-Demokratie sprechen. Zeitweilig wurde sogar allein der Besuch der Volksversammlung entgolten.

- Die Richter:
Eine weitere Besonderheit war die Ausübung der Justiz durch Laienrichter: In jedem der 10 Grichtshöfe saßen jeweils bis zu 600 Richter, die ebenfalls gelost worden waren. Ihre einzige Kompetenz lag in ihren Lebenserfahrungen - man musste mindestens 30 Jahre alt sein - und in ihrer großen Zahl. Im anglo-amerikanischen Gerichtswesen mit seinen Geschworenengerichten spiegelt sich heute davon etwas wider. Bei uns herrscht die Dominanz sog. Berufsrichter, denen noch Schöffen zugeordnet werden, die aber nur beratende Funktion haben. Man mag darüber streiten, wer zu gerechteren Urteilen gekommen sein mag. Eines ist aber sicher: 600 Richter zu bestechen oder zu bedrohen war wohl aussichtslos (Bei Prozessen gegen die Mafia in Italien wäre das eine interessante Option). Den Quellen entnehmen wir, dass es häufig die ganz alten Männer waren, die zu den Auslosungen für die Richterämter strömten; neben der Einnahme wird es wohl auch der Unterhaltungswert solcher Verfahren gewesen sein, der ihnen den Lebensabend etwas abwechslungsreicher gestaltet haben mag. Die Summe der Lebenserfahrungen so vieler Richter wird als Mittelwert im Ergebnis gar nicht so schlecht gewesen sein.

- Das Scherbengericht:
Als letztes Mittel zur Verhinderung einer Tyrannis gab es noch das sog. Scherbengericht. Auf Antrag schrieb jeder den Namen eines attischen Bürgers auf, von dem er glaubte, dass er nach Alleinherrschaft strebte. Er musste für 10 Jahre Attika verlassen. Die Bedeutung dieses Vorgangs wird oft überschätzt; es wurde letztlich nur selten eingesetzt und in einer späteren Phase auch völlig abgeschafft.

Festzuhalten wäre noch:
Diese attische Demokratie hat funktioniert und ist nur durch äußere Gewalt - makedonischer Sieg über die Griechen - beendet worden. Wenn vom Prinzip auch alle das gleiche Rederecht (isegoria) hatten, so waren es doch die geübten Redner und angesehenen Wortführer einer bestimmten polit. Richtung, die sich an entscheidenden Stellen durchsetzten. Das bekannteste Beispiel ist Perikles, der niemals mehr gewesen ist als einer der 10 Strategen. Andererseits: Jeder für sich war letztlich verantwortlich für seine Stimmabgabe; wir dürfen daher nicht annehmen, dass entstehende Mehrheiten stets nur aus manipulierbaren Subalternen bestanden. Sicher ist zumindest eines: Die zeitgenössische Kritik an der damals bestehenden Demokratie wurde durch hochgebildete Adlige formuliert, die wohl eher - fast möchte man sagen naturgemäß - dieser sehr kritisch gegenüberstanden.
Was die Friedfertigkeit dieser direkten Form der Demokratie anbetrifft: Man darf fast schon das Gegenteil annehmen: Der attische „demos” ließ sich gerne zu abenteuerlichen Unternehmungen überreden; ein missglücktes Unternehmen auf Sizilien, eines in Ägypten und während des peloponnesischen Krieges hatte man einige hundert Spartiaten auf einer Insel gefangen genommen, das sofortige Friedensangebot aus Sparta lehnte eben dieser „demos” ab. Also auch betont basisdemokratische Elemente sind keine Gewähr für betont friedensorientierte Politik (hier wäre der Einwand berechtigt, dass unter Beteiligung der Frauen es selbstverständlich anders gewesen wäre - aber das ist nur eine feministische Hypothese).
Um in der Antike zu bleiben: Der Beginn des 1. Punischen Krieges ist auf einen Volksversammlungsbeschluss gegen den Rat der amtierenden römischen Konsuln zurückzuführen; die Gier auf rasche Beute hat damals eine ebenso schreckliche Wirkung gehabt wie unsere heutige Finanzkrise. Geschichte wiederholt sich eben doch, weil der Typus Mensch sich in 3.000 Jahren genetisch nur unwesentlich verändert hat.

Hubertus Wilczek.