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23.05.2018

. / Aktuelles / Ach ja - Griechenland. Da war doch was! (verfasst am 17.06.2011)
Stand: 15.07.2012

Eigentlich sollte ich meinen Beruf wechseln! Hellseher, Glaskugel-Deuter oder irgendetwas anderes Esoterisches. Ich freue mich aber keineswegs, erneut düstere Prognosen bestätigt zu sehen; nur diesmal hat die Sache nochmals an Virulenz hinzugewonnen.

Ergänzung aus 2012: Die Prognosen verhärten sich allmählich zu Fakten. Der Bogen scheint überspannt zu sein und vieles deutet auf einen Crash des Euro hin. Andererseits: Weshalb passiert das nicht auch dem Dollar, denn genau betrachtet sind die USA noch viel mehr verschuldet als wir Europäer! Bei uns besteht das Problem der vielen Entscheidungsfelder. Seitdem Frankreich gewählt hat, ist aus der Zugmaschine Deutschland-Frankreich ein Dualismus um Europa geworden. Der neue sozialistische(!) Staatspräsident ist in Wirklichkeit ein erkennbarer französischer Nationalist, der flugs aus dieser Problematik einen Kampf um die Vorherrschaft in Europa gemacht hat. Dazu instrumentalisiert er den Euro ohne die wirklichen Folgen zu überblicken. Was für ein Unglück ist uns da beschert worden; ich beneide Frau Merkel momentan so gar nicht und es ist extrem schwierig, Ratschläge aus der Position eines „Normalbürgers” zu erteilen, da einfach wichtige Informationen fehlen bzw. nur gefiltert über die Medien zu erhalten sind. Diese Uneinigkeit ist in der möglichen Abwehr des Würgegriffs seitens der Kapitalmärkte und der belehrungsresistenten Schuldenpolitik insbesondere der südeuropäischen Staaten der fatale historische Fehler, der sich anbahnt.

Der ursprüngliche Artikel:

Gebetsmühlenartig wird die unendliche Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands heraufbeschworen, ohne dass irgendjemand verbindlich sagen könnte, was danach passiert. Verschwindet Griechenland dann von der Landkarte, scheint die Sonne dann nicht mehr auf seine Gestaden oder schickt der nunmehr erwachte Zeus seine Zornesblitze wohin auch immer. Das Standardzsenario beschwört ein innenpolitisches Chaos und europaweit einen Dominoeffekt herauf.
Alles nur gezielte Thesen der Kapitalbesitzer!
Nur eines ist im Ergebnis schon klar: Der Euro einigt Europa nicht, sondern er spaltet ihn sehr wuchtig, denn beim Geld hört der Spaß bekanntlich auf.
Es ist nicht einfach nur ein Nord-Süd-Konflikt, sondern es geht durch alle finanziellen Ebenen der EG. Griechenland ist hier nur ein besonders markantes Problemfeld einer finanztechnischen Illusion, nämlich der Vorstellung, einer Einheit, die sonst keine weiteren bemerkenswerten Gemeinsamkeiten aufzuweisen hat.
Es gibt keine Zentrale, die vergleichbare Modalitäten sicherstellen kann, es gibt nur umgekehrt eine Spielwiese für Finanzmärkte, die hier ungeahnte profitable Möglichkeiten der Gewinnmaximierungen gefunden haben.
Es ist ja auch zu schön, den endlos gierigen Einzelstaaten der EG immer wieder neue Kredite gewähren zu dürfen, und zwar zu Bedingungen, die man selbst vorgibt. Gelegentlich wird man noch durch den göttlichen Ratschlag einer der drei amerikanischen Ratingagenturen unterstützt, ansonsten kann man sich gönnerhaft gebärden. Die Gewinnmaximierung erfolgt über die Risikoeinschätzung der jeweiligen Staaten - geringer Zinssatz entspricht hoher Sicherheit (z. B. Deutschland), hoher Zinssatz entspricht hohem Risiko (z. B. Griechenland) - und lässt sich jeweils gut auf die einzelnen Staaten verteilen (diversifizieren).
Eben diese (einzel)staatliche Finanzhoheit ermöglicht das bekannte „divide et impera”.
Auf diese Weise hat man als Finanzanbieter (wie auch immer sie sich nennen mögen) auch ein nahezu beliebiges Portfolio für potente Kunden der Banken, der Versicherungsgesellschaften und sonstiger Gruppierungen, deren einzige Aufgabe darin besteht, vorhandenes Kapital gleichsam im Schlaf zu vermehren.

Im Mittelalter wurde die Zinsnahme noch als Sünde verstanden und war für Christen verboten, für Juden hingegen war dies kein Problem.
Heutzutage gibt es bei der Zinsnahme keine moralischen Probleme mehr.
Ach ja: Man könnte das Ganze auch aus der Sicht der Kapitalgeber sehen. Diese Perspektive wird uns ja in den Medien bereits ständig aufgedrängt; einerlei, ob es um Börsendaten oder sog. Geldanlagen geht, ständig wird so getan, als ob wir alle miteinander nur das eine Problem hätten, nämlich wie wir unser Geld anlegen könnten.
Nun ja, ich gehöre so gesehen zu den „loosern”, ich habe kein anzulegendes Geld, sondern bilanztechnisch gesehen vermutlich eher Schulden. Damit bin ich auf dem Niveau des Staates, des Bundeslandes, in dem ich wohne, und der Gemeinde, also in bester Gesellschaft(?!).
Aber ich kann mir trotzdem sehr gut vorstellen, wie schwierig es ist, sein Kapital nicht nur zu erhalten, sondern es auch zu mehren. Gott ist mit den Erfolgreichen, wie wir seit Calvin wissen, und seine Gnade zeigt sich am wirtschaftlichen Erfolg (wie gut, dass ich Katholik bin).
Aber die Calvinisten und ihre Nachfolger (Nachfahren?) im Geiste sind da ganz konsequent: Sie verlassen sich nicht allein auf die Prädestination, sondern stellen sehr zielbewusst ihren wirtschaftlichen Erfolg sicher.
Als ich meinen ersten Artikel über Griechenland schrieb, erwähnte ich das besondere Engagement der d(D)eutschen Bank, die mittlerweile - also ca. mehr als ein Jahr später - fast komplett aus den griechischen Staatsanleihen ausgestiegen ist (nur noch ca. 1,4 Milliarden), ebenso wie diverse Versicherungsgesellschaften. Das nenne ich eiskalte Konsequenz! Nur die Hypo-Real ist noch mit mehr als 10 Milliarden dabei; eine staatliche Bank!
Ein Schelm, der Arges dabei dächte!
Bleibt die Frage, wer den Schrott (griechische Staatsanleihen) zwischenzeitlich aufgekauft hat? Nun ja, außer wenigen Zockern (und extrem risikobereiten französischen Banken) offenbar die europäische Zentralbank.
Mit anderen Worten: Der europäische Steuerzahler übernimmt nahezu vollständig die Risiken - wobei dieser Begriff hier extrem euphemistisch zu verstehen ist -, denn Griechenland kann seine Schulden gar nicht zurückzahlen.
Das Missverhältnis zwischen Schuldenlast und der Fähigkeit der Rückzahlung ist gigantisch. Egal was sie einsparen, sie kommen mit Zins und Zinseszins niemals hinterher. Wir brauchen hier nicht über konkrete Zahlen zu diskutieren, denn einerlei aus welcher Quelle: Sie sind alle erlogen (ich glaube nur der Statistik, die ich selber angefertigt habe).
Der Rückzug der deutschen Bank ist ein sehr präzises Indiz.
Schlimm finde ich einmal mehr die derzeitig eher verschleiernden Diskussionen in den Medien und (auch offizielle Verlautbarungen werden mehr oder weniger diffus durch die Medien vermittelt) politischen Stellen. Der Verlierer ist auf alle Fälle die Masse der europäischen Steuerzahler, genauer gesagt, die mit den „geringeren” Schulden, also z. B. wir Deutschen. Die mehr als berechtigte Forderung nach einer Beteiligung der Kapitalgeber ist ja mittlerweile in das Nirvana einer Freiwilligkeit umgewandelt worden. Der französische Staatspräsident hat sich da sehr eindeutig durchgesetzt. Frau  Merkel hatte bei mir zwischenzeitlich Sympathiepunkte gesammelt ob der neuen Atompolitik, aber eben diese wieder verloren.
Das wäre ja unbedeutend, aber in der Sache ist es fatal. Das eigentliche Problem wird einmal mehr in die Zukunft verlagert, eine weitere Tranche an Geld ist in der Bereitstellung bereits fast unlösbar, im Ergebnis wird (falls gelöst) nur gutes (ist es das noch?) dem schlechten Geld nachgeworfen.
Auch der EU-Fanatiker im Kabinett konnte sich mit seiner mehr als berechtigten Forderung nach Beteiligung der Kapitalgeber nicht durchsetzen; seine heutigen Statements wirken da eher peinlich.
Keine leichte Aufgabe, aber an dieser Stelle - es geht ja nicht um militärische Fragen - wünschte man sich eine ebenso eiskalte Reaktion der deutschen Politik. Die Peinlichkeit in der Lybien-Frage wirkt noch nach, aber hier geht es um andere Dinge, sodass die Forderung nach Beteiligung der Kreditgeber - für wichtige Täter kommt es ohnehin zu spät - hätte durchgesetzt werden müssen. Oder droht Frankreich mit was auch immer?
Eine Variable, die mir Sorgen bereitet!!
Griechenland ist entgegen üblicher Beteuerungen schon lange nicht mehr zu helfen; ich vermute, dass dies schon vor derem EU-Beitritt galt. 
Eine Insolvenz Griechenlands ist absolut zwingend, allein schon um einen Abschluss zu finden; leider wird er zu spät kommen, da die Hauptschuldigen bereits aus diesen Papieren ausgestiegen sind.
Dies hätte bereits vor mehr als einem Jahr passieren müssen. Es mag aber für Folgestaaten eine Lösung anbieten und für all die netten Kapitalgeber eine sehr deutliche Warnung, an Insolvente keine Kredite zu vergeben.
Es gibt hier nur radikale Lösungen, alles andere ist die übliche Verkleisterung der Probleme auf ein Irgendwann.
Hier geht es auch nicht um eine unsinnige „Solidarität zwischen Staaten”, sondern nur um den Anfang einer Ausklammerung aus den unbeugsamen Fängen der Kapitalmärkte.
Ach ja: Der Euro ist mehr als gefährdet, er lebt eigentlich nur, weil es dem Dollar noch schlechter geht.
Was für eine Wahl zwischen Not und Elend!
Und: fast ein Treppenwitz der Weltgeschichte: Es scheint mittlerweile  ungewiss zu sein, ob man besser Kreditgeber oder Schuldner ist.

Hubertus Wilczek