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23.05.2018

. / .Deutsch / Rhetorik / Redeanalysen / Flugblatt aus dem Jahre 1971
Stand: 08.05.2007

Im Kontext der aktuellen Diskussion um die RAF habe ich ein wenig gestöbert und ein altes Flugblatt aus der Szene der „End-68er” gefunden. Für heutige Schüler kann es ein Zeitdokoment zum Verständnis des damaligen Zeitgeistes sein. Ich muss gestehen (heute heißt dies: sich outen - wie widerwärtig), damals als Schüler auch marxistische Thesen vertreten zu haben.

TEXT

Wer keine Angst hat, gevierteilt zu werden, reißt den Kaiser vom Pferd (altdeutscher Spruch).

Am 12.5.71 wurde unsere Kommune zum dritten Mal von jenen perversen Typen überfallen,
die Recht und Ordnung dieser Geldsackgesellschaft repräsentieren.
Um halb sieben morgens rückten die Ordnungskräfte in unsere Wohnung ein und zeigten uns
einen Wisch von der Größe eines Stückchen Scheißpapiers, auf dem zu lesen stand, daß auf
5 Grund einer „Anzeige wegen Volksverhetzung“ bei uns Beweismaterial gesucht werden kann.
Die Anklage der Volkverhetzung bezog sich auf eine Stelle eines von uns gedruckten
Flugblattes (es trug unseren Namen) in dem es hieß, daß die wahren Verbrecher unserer
Gesellschaft jene sind, die sich schwarze Talare umhängen und im Namen des Volkes ihr
eigenes Recht grunzen. Damit meinen wir jene, die schon immer willig und gewissenlos dem
10 Kapital und den Geldsäcken von Kaiser Wilhelm über Adolf bis zu Richard Nixon den Arsch
geküßt haben, auf Kosten des Volkes, das mit Schweiß, Blut und Massensterben für die
Machterhaltung der internationalen Profitsäcke zahlen muß.
Warum filzt man unsere Wohnung nun schon zum dritten Mal, läßt man den ganzen Block
mit Bullen umstellen, schleppt uns zum Waldmarkt, verhört uns da für zehn Stunden und
15 schickt uns dann noch durch die Maschinerie des Erkennungsdienstes (Foto, Fingerabdrücke,
Größe, Gewicht, genaue schriftliche Personalbeschreibung)? Wohl kaum wegen dieses einen
Flugblattes. Sondern weil immer mehr Leute mit uns erkennen, daß das herrschende Recht
das Recht der Herrschenden ist.
Dieses Recht ist nur solange gültig, wie wir es als richtig empfinden. Solange wir dieses
20 Recht als richtig ansehen, werden die Machtbonzen unsere Blutsauger sein. Sobald wir uns
über das Unrecht und Verbrechen im klaren sind, daß durch dieses Recht an uns, dem Volk,
begangen wird, werden die Blutsauger machtlos. Denn die wesentlichste Stütze ihrer Macht
liegt darin, uns den Irrtum glaubhaft zu machen, daß das herrschende Recht richtig und Recht
für alle sei. Es ist aber falsch und ein Verbrechen. Und sie, die Herrschenden, die Obrigkeit
25 und ihre Werkzeuge, die Bullen, sind die wahren Verbrecher. Das wissen wir eigentlich alle.
Sogar diese Verbrecher wissen das, und sie haben verdammte Angst davor, von uns als
Verbrecher erkannt und behandelt zu werden. Das fängt schon da an, wo wir den großange-
legten Schaufensterbetrug mit seinem plumpen bis ausgeklügelten Werbepsychoterror den
Kampf ansagen dadurch, daß wir hier ehrliche Musik machen bzw. dabei mit Vergnügen
30 zuhören und zusehen. Das geht da weiter, wo die Geschäftsleute daraufhin die Bullen holen,
und wo die Bullen auf eine plötzliche Solidarität bei uns allen hier stoßen, die gegen sie und
ihre Anliegen gerichtet ist. Und es wird zur Angstpsychose für Bonzen und Bullen, wenn wir
unsererseits keine Angst mehr haben vor ihren Machtbefugnissen und Machtmitteln.

Macht kaputt, was euch kaputt macht!

ALLE MACHT DEM VOLKE